Nachdenken: Hunger und Durst nach Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist ein Sehnsuchtsort, den zu erreichen nie ganz gelingen wird. Gerechtigkeit ist nicht statisch, sondern immer ein Balanceakt. So wie eine Seiltänzerin ganz schnell vom Seil fallen kann, wenn eine Seite ihrer Stange sie zu sehr nach unten zieht, so kann ein mühsam ausgehandeltes Abkommen, das Gerechtigkeit zwischen zwei Parteien herstellen soll, ganz schnell kippen.
In Bezug auf die Verteilung der Reichtümer unserer Erde herrscht große Ungerechtigkeit. Das Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm ist gewaltig. Die Strukturen, die dieses Ungleichgewicht zementieren, sind stark. Die Idee der Gerechtigkeit für alle auf dieser Erde war schon zu biblischen Zeiten schwer zu denken. So geht die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus der Frage nach: Wie sieht Gottes Gerechtigkeit für einen Menschen aus, dem zu Lebzeiten nur Ungerechtigkeit widerfährt?
Lukas erzählt: „Einst lebte ein reicher Mann. Er trug einen Purpurmantel und Kleider aus feinstem Leinen. (…) Aber vor dem Tor seines Hauses lag ein armer Mann, der Lazarus hieß. (…) Er wollte seinen Hunger mit den Resten vom Tisch des Reichen stillen. Aber es kamen nur die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Dann starb der arme Mann, und die Engel trugen ihn in Abrahams Schoß. Auch der Reiche starb und wurde begraben. Im Totenreich litt er große Qualen. Als er aufblickte, sah er in weiter Ferne Abraham und Lazarus an seiner Seite. Da schrie er: ‚Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir! Bitte schick Lazarus, damit er seine Fingerspitze ins Wasser taucht und meine Zunge kühlt.‘ Doch Abraham antwortete: ‚Kind, erinnere dich: Du hast deinen Anteil an Gutem schon im Leben bekommen – genauso wie Lazarus seinen Anteil an Schlimmem. Dafür findet er jetzt hier Trost, du aber leidest. (…)“ Lk 16, 19–25, LU17
Zugegeben, diese Geschichte ist ziemlich befremdlich. Aber ist die Frage nach Gerechtigkeit nicht auch eine Frage, die wehtut? Die uns Privilegierte quält – wie Hunger und Durst? Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus macht darauf aufmerksam, dass auch unser Leben im Zusammenhang steht mit dem Leben der Armen vor unserer Tür. Unser Lebensstil bedingt Lebensbedingungen anderer, die wir eigentlich nicht wollen. Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Eigennutz sind keine Option. Sie prägen aber unser Wirtschaftssystem. Diese Zusammenhänge gilt es zu sehen und deutlich zu machen. Das kann ganz schön anstrengend sein und sogar wehtun. Aber wo Hunger und Durst nach Gerechtigkeit sind, da ist auch Gott. (amn)
Autorin: Annette Muhr-Nelson (amn)
Annette Muhr-Nelson ist Leiterin des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2016 ist die Theologin und Pfarrerin zudem Vorsitzende des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nordrhein-Westfalen (ACK-NRW).
Wem gehört die Welt? Die Geschichte des Reichtums
Sendung von Terra X / ZDF
42 Milliardäre besitzen so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Warum ist das so? Und war das schon immer so? LIegt es in der menschlichen Natur, Reichtum anzuhäufen?